Henning Rehbaum MdB

Rede zum Volkstrauertag in Ennigerloh 2025

sehr geehrte Damen und Herren,
der Volkstrauertag ist kein Relikt aus vergangenen Zeiten, kein altmodischer Brauch, sondern auch im Jahre 2025 aktueller denn je.
Und es ist ein starkes Signal, dass auch hier in Enniger Frauen und Männer aller Generationen und aus der breiten Mitte der Gesellschaft am Volkstrauertag zusammenkommen.

Der Volkstrauertag zählt zu den stillen Tagen, an denen wir innehalten und unseren Blick und unsere Herzen denjenigen zuwenden, die Opfer von Gewalt und Krieg geworden sind.
Die 175 Namen, die auf dem Kriegerdenkmal hier in Enniger in Stein gemeißelt sind, sind für jeden lesbar. Jeder einzelne Name ist ein Schicksal. 

Hier stehen nicht die Namen unbekannter Soldaten, sondern von Menschen aus Enniger, über die vielleicht in den Familien heute noch gesprochen wird. Namen von Vätern, die sonntags noch mit ihren kleinen Kindern gespielt haben, montags an die Front geschickt wurden, und nie mehr zurückkamen. Diese Kinder sind heute über 80 Jahre alt.
 
Wir lesen am Kriegerdenkmal Namen von Söhnen, Brüdern, Ehemännern, Verlobten, Geliebten, den Namen eines Onkels oder Großonkels, eines Nachbarn - oder eines guten Freundes.
Menschen, die ihr Leben in Enniger geliebt haben, die Schützenfest gefeiert haben, die im Spielmannszug gespielt haben oder in der Feuerwehr waren, die im Sportverein Fußball oder plattdeutsches Theater gespielt haben. Junge Männer, die eingezogen wurden und nie zu ihren Familien und Freunden zurückkehren konnten. 
Ihre Schicksale führen uns vor Augen, wie zerbrechlich und was für ein Geschenk das Leben ist. Und sie zeigen uns, wie sehr der Wunsch nach Frieden in uns lebt und welche Verantwortung, - auch für uns als Deutsche - damit verbunden ist. Nach dem grausamen Überfall der Terrororganisation Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 und viel zu vielen Toten auf beiden Seiten schweigen im Nahen Osten nun endlich die Waffen. Das ist ein Lichtblick, und der vereinbarte Friedensplan zeigt, dass selbst in den verfahrensten Situationen internationale Diplomatie, Kompromissbereitschaft und Vernunft zu einem Ende von Terror und Gewalt führen können.

Auch der Bürgerkrieg in Syrien ist vorbei - ein Segen für die Menschen, eine große Chance für das Land! 
Doch in Europa geht der russische Angriffskrieg gegen ein freies und demokratisches Land, gegen die Ukraine, seit nunmehr fast vier Jahren mit unverminderter Härte weiter. Ein Krieg tobt in Europa, in unserer Nachbarschaft, dem bereits mehrere 100.000 Menschen zum Opfer gefallen sind - keine drei Flugstunden entfernt und damit in etwa in der gleichen Entfernung wie beliebte Urlaubsziele, wie Mallorca oder Griechenland. Die Ukraine - ein Land, das 1941 von Deutschland überfallen wurde. SS und Wehrmacht verübten hier Massaker an zehntausenden Juden, unterdrückten und beuteten die Bevölkerung aus. Nach weiteren Jahrzehnten als sozialistische Sowjetrepublik ist die Ukraine heute ein eigenständiger, demokratischer Staat, der in seinem Kampf für Freiheit unterstützt werden muss. Wir gedenken heute der Opfer auch dieses Krieges. Und wir richten unseren Blick auf diejenigen ukrainischen Familien, die zu uns geflohen sind, Auch wenn wir politisch weiter ausloten müssen, was das notwendige Maß der Hilfe für ukrainische Flüchtlinge ist, und welche Bedingungen wir, als aufnehmendes Land setzen. Aber ganz unabhängig davon: Die Geschichte muss uns hier eine Lehre sein: Denken wir nur an die hunderttausenden Deutschen jüdischen Glaubens, die im Dritten Reich allein deshalb überleben konnten, weil andere europäische Staaten und die USA ihnen vor Verhaftung, Internierung, Zwangsarbeit und Ermordung Zuflucht gewährten. Dafür sind wir diesen Staaten bis heute dankbar.

Das Russland von Vladimir Putin hat erst kürzlich durch eine neue Militärreform die Obergrenze der Armee auf 1,5 Millionen Soldaten erhöht. Die Arbeiter in russischen Rüstungsbetrieben produzieren im Drei-Schicht-System Waffen, die bereits jetzt völkerrechtswidrig Europa und auch Deutschland bedrohen. Man fragt sich: Warum braucht Russland eine so riesige Armee? Immer mehr Soldaten, mehr Panzer, mehr Waffen? Die drei baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen und auch Polen wissen es. Sie kennen die Schrecken der russischen Besatzung, sie erkennen die Zeichen der Zeit.

Aber auch wir haben unsere Lehren aus der Geschichte gezogen.
Das Gründungsparadigma der jungen Bundesrepublik ist weiterhin gültig:
"Nie wieder soll ein Krieg von deutschem Boden ausgehen." Doch als größtes Land der Europäischen Union dürfen wir auch nicht einfach dasitzen und zuschauen, wie friedliebende Nationen in unserer Nachbarschaft bedroht werden, wie Zivilisten grausam getötet werden, wie unsere Friedensordnung mit Füßen getreten wird. Wir sind uns alle einig, dass wir keinen Krieg wollen. Der beste Krieg ist der, der gar nicht erst begonnen wird. Und dafür kann man etwas tun: „Wenn du den Frieden willst, dann rüste für den Krieg" sagte man im alten Rom. Für uns als Bundesregierung ist klar, dass wir unsere Bundeswehr so aufbauen und ausrüsten müssen, dass niemand sich traut, uns oder unsere Bündnispartner in der NATO zu bedrohen oder anzugreifen. Deshalb ist es sinnvoll, dass die Wehrpflicht wieder eingeführt. Eine Entscheidung, die uns nicht leichtfällt. Genauso wie sie Konrad Adenauer und der Politik 1955 - vor 70 Jahren - nicht leichtgefallen ist. 
Doch damals, wie heute gilt: „Wir müssen uns verteidigen können, damit wir uns nicht verteidigen müssen." Der 2. Weltkrieg begann in einer Zeit von Angst, Sorgen und wirtschaftlicher Not unter den Menschen. Hitler bediente diese Gefühle, indem er Minderheiten die Schuld zuschob. Juden, Sinti und Roma, homosexuelle Männer, Polen, soziale Randgruppen und Menschen mit Behinderung, ja selbst katholische und evangelische Geistliche wurden zu Systemfeinden erklärt. Daraus entwickelte sich Nationalismus, Rassismus, offener Antisemitismus, die schrittweise Abschaffung der Demokratie und eine verbrecherische Diktatur, die Menschen von Minderheiten verfolgte, sie millionenfach umbrachte und den halben Kontinent in Schutt und Asche legte.

Doch auch heute sind die Menschen wieder von Sorgen getrieben. Begründete und manchmal unbegründete Ängste vor Jobverlust, Inflation, einer gescheiterten Integration, Überforderung der Gemeinden durch irreguläre Migration, internationale Krisen wie Zollstreitigkeiten, Kriege, der Klimawandel, Terrorismus, rechtsradikaler, linksradikaler oder religiöser Extremismus, tagtägliche Cyberangriffe Russlands und Chinas auf Firmen und Behörden.

Eine Welt im Umbruch, eine Welt, die einem Sorgen machen kann. Deshalb ist es umso wichtiger, dass wir das Vertrauen der Menschen in die Demokratie zurückgewinnen. Dass wir bestimmte Sorgen der Menschen nicht zum Tabu erklären, sondern diese Sorgen offen ansprechen und die Aufgaben unserer Zeit, die so offensichtlich vor uns liegen, angehen und sie nach bestem Wissen und Gewissen lösen. Weniger Panikmache, weniger Verhetzung, sondern den Menschen zuhören. Die Sorgen der Menschen ernstnehmen und dafür Sorge tragen, dass unser Staat funktioniert, damit die Menschen und die Wirtschaft sich gut aufgehoben fühlen und an die Zukunft glauben. Und es lohnt sich, an die Zukunft zu glauben, sie gestalten zu wollen, Hoffnung in seinem Herzen zu tragen. Das sind wir den Opfern von Krieg und Gewalt schuldig. Soldaten, zivile Opfer, Frauen und Kinder, denen wir heute gedenken.

Hoffnung darf nicht nur ein Wort bleiben.

Hoffnung ist auch das, was wir alle daraus machen.